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© Unsplash/Erin McKenna

Eisbaden: Kann ich das auch aushalten?

Sie laufen mit Wollmützen ins Meer oder legen sich freiwillig in mit Eiswürfel gefüllte Badewannen: Eisschwimmer. Kann ich das auch? Ausgerechnet in einer Tiefkühltruhe im Park entdecke ich meine Liebe für die Kälte und das Eisbaden.

Bei zwölf Grad Celsius bibbere ich im Badeanzug in einem Wiener Park. Vor mir steht eine ausrangierte Tiefkühltruhe. Jedes einzelne Haar an meinem Körper hat sich aufgestellt und rechnet mit dem Schlimmsten. Ich mache einen mutigen Schritt auf die Tiefkühltruhe zu, atme ein und los. Tausend kleine Messerstiche.

Mein Gehirn schleudert mir gerade so viel Dopamin ins Blut als würde ich koksen. Zumindest erklärt mir das mein Wim-Hof-Coach Marcus Bernhardt, der mir von Fuße der Tiefkühltruhe her gut zuredet. Er begleitet mich an diesem kühlen Samstagabend durch mein Eisbad unter freiem Himmel. Auf seinem T-Shirt prangt in blauer Schrift: „Stärke ist eine Entscheidung“, das Motto seiner Kälteworkshops im Wiener Prater. Dafür befüllt er nicht nur Tiefkühltruhen mit Eiswasser, sondern bietet dazu noch Atemkurse und Mental-Trainings an.

Seine Kurse stehen damit in der Tradition des berühmten Extremsportlers Wim Hof, der als „Iceman“ weltbekannt wurde. Der Niederländer ist Meister der extremen Kälte und hat dabei gern seine eigenen Weltrekorde geschlagen: Zuletzt 2011 mit einem 112-minütigen Eisbad. Aktueller Titelträger des längsten Eisbades ist zwar der österreichische Extremsportler Josef Köberl, Wim Hof aber hat ein inzwischen ein anderes Ziel: Auf seinem YouTube-Kanal erklärte er 2019 in einem Q&A, seine Methode wissenschaftlich zu beweisen sei ihm wichtiger, als den nächsten Weltrekord zu knacken.

Eisbaden: Warum zur Hölle?

Mein Eisbad dauert gerade mal zwei Minuten. Doch bevor ich näher darauf eingehe, muss ich euch erklären, wieso ich mich in dieser skurrilen Szene im Park befinde. Ich lasse mich leicht von Extremsportlerinnen und -sportlern beeindrucken. Es fasziniert mich, was unser Körper leisten kann, wenn er sich nicht 23 Stunden und 40 Minuten am Tag in Ruhepositionen befindet. Menschen wie der nepalesische Bergsteiger Lhakpa Gelu Sherpa, der in nicht mal elf Stunden die Spitze des Mount Everest erklomm: Zur Vorbereitung lief er jeden Tag morgens mit einem schweren Rucksack bepackt 20 Kilometer weit einen Berg hoch. Menschen wie er biegen und brechen die Grenzen des Körpers in alle erdenklichen Richtungen und zeigen nicht zuletzt stählerne Nerven und einen eisernen Willen.


Und apropos Mount Everest: Auch „Iceman“ Wim Hof ist nicht spurlos an mir vorbeigezogen. Dass er 2007 den höchsten Berg der Welt nur in Shorts und Sandalen bezwang (und ihn damit mokierte), hat mich schwer beeindruckt. Wim Hof ist Galionsfigur seiner eigenen Gesundheitsbewegung. Die Kälte ist für ihn Mentaltrainer, Regenerationshilfe und Immun-Boost in einem. In aller Kürze erklärt, geht es bei der Wim-Hof-Methode um Kälteexposition kombiniert mit einer bestimmten Atemtechnik. Beides zusammen soll Körper und Geist stärken.

Wer sich dem Eisbaden verschreibt, schwärmt in der Regel sehr davon: Nie wieder krank, so fit wie noch nie, kein Muskelkater mehr. Auch Marcus Bernhardt ist Fan. Seine Leidenschaft für Eisbäder entdeckt er nach einer Woche Wim-Hof-Training in Polen. Er beschließt kurzerhand selbst Kältetrainings in Wien anzubieten und die Tradition des niederländischen „Iceman“ fortzuführen.

Wim Hof hat einmal gesagt: „Wozu ich im Stande bin, kann jeder lernen.“ Ich habe ihn beim Wort genommen – und deshalb haben die einsame Tiefkühltruhe und ich nun ein Date. Die Stimmung ist, es kann nicht anders sein: frostig.

Mein mentaler Airbag: Die Vorbereitung aufs Eisbad

Für meine Vorbereitung brauche ich nur den Willen kalt zu duschen. Neben der Atmung und der Kälteexposition verstehe ich jetzt auch, was Wim Hof mit der dritten Säule meint, der „Willensstärke“. Die ist eigentlich schon die erste Lektion, denn: Kälteresistenz beginnt im Kopf.


„Man hat eine unfassbar große Lernmöglichkeit im Wasser. Du begibst dich in eine Paniksituation, ähnlich wie bei einem Autounfall. Was du im Eisbad erlebst, brennt sich in dein Gehirn.“ Das sagt mir mein Coach Bernhardt im Gespräch vorab. Und deshalb starte ich zuhause mit einer Reihe an Wechselbädern. Davon erhoffe ich mir eine Art mentalen Airbag, um meinen Aufprall abzufedern. Theoretisch funktioniert es so, dass man sich mit kühlem Wasser erst die Füße und Hände abduscht und danach mit dem Duschkopf langsam Richtung Körpermitte wandert.


Am ersten Tag stehe ich wie angewurzelt in der Dusche. Ich komme kaum über meine Knie und bemitleide mich dabei selbst so sehr, dass ich abbreche. Am zweiten Tag probiere ich es anders: Ich beginne bei meinen Händen und taste mich langsam bis an meine Schultern vor. Dort angekommen hoffe ich, dass die Schwerkraft das Wasser schon über den restlichen Körper verteilen wird. Als die ersten Tropfen über meinen Rücken laufen, rutsche ich vor Schreck fast aus und vertage die kalte Dusche erneut. Am dritten und vierten Tag gehe ich mir selbst so sehr auf die Nerven, dass ich – entgegen jeder Empfehlung – in der Körpermitte starte und die Diskussion mit mir selbst damit beende. Am fünften Tag lasse ich mir ein Schaumbad ein. Nun ja, Rom wurde nicht an einem Tag erbaut.

Wim-Hof-Methode: Beim Eisbaden hilft die richtige Atmung

Die zweite Lektion hätte ich schon an diesem Punkt mitnehmen können und werde es noch bereuen, dass ich es nicht getan habe: Die richtige Atmung macht einen riesigen Unterschied. Kurz gesagt geht es darum, sich mental in einer Atem-Meditation auf das Eisbad vorzubereiten. Wim Hof schlägt eine Atemtechnik vor, bei der wir im Grunde hyperventilieren: Schnelles, tiefes Ein- und Ausatmen wechselt sich mit wenigen Sekunden des Luftanhaltens ab. Der Sauerstoffgehalt im Blut steigt dadurch an und unser Körper gerät in eine erhöhte Leistungsbereitschaft. Das zeigt eine Studie, die diesen Effekt auf die stärkere Beeinflussung des Sympathikus zurückführt – jener Teil des vegetativen Nervensystems, der in Stress- und Notfallsituationen aktiviert wird.


Der Körper wird also einer künstlichen Stresssituation ausgesetzt. Adrenalin wird freigesetzt und die Blutgefäße ziehen sich zusammen. So erklärt es mir auch mein Coach Marcus Bernhardt: „Durch die Atmung geht das Adrenalin durch die Decke und der Körper wird schmerzunempfindlicher.“ Im Eisbad erlebe man eine Ausnahmesituation: Durch die Atmung und die Kälteexposition konfrontieren wir den Körper in einem kontrollierten Setting mit Stress, was unsere Widerstandskraft und unseren Umgang mit Paniksituationen schult. Ein Mental-Training, bei dem man wortwörtlich ins kalte Wasser geworfen wird.

Eisbaden im Park: Werde ich jetzt zur Icewoman?

Es ist Samstag und Zeit für mein Eisbad. Draußen ist es kühl, es nieselt und ich hab meine Periode. Eine nicht unwesentliche Information für alle Leserinnen, die über ein Eisbad nachdenken: Es gibt definitiv bessere Zeiten dafür. Wer es bis hierhin noch nicht zwischen den Zeilen herausgelesen hat: Nein, ich mag die Kälte nicht. Bei dem Wetter überhaupt die Wohnung zu verlassen, kostet mich Überwindung. Das Mental-Training beginnt also genau genommen an meiner Türschwelle. Angekommen im Wiener Prater, gehe ich erst einmal im Vergnügungspark Achterbahnfahren. Quasi als persönliche Methode, Puls, Adrenalin und Körpertemperatur für das bevorstehende Eisbad nach oben schellen zu lassen. Nächste Lektion: Achterbahnfahren ersetzt keine Atem-Meditation.


Die hat Marcus Bernhardt heute den ganzen Tag im Gruppenworkshop geleitet, bevor ich um 18 Uhr zum Eisbaden bei ihm vorbeikomme. Er erzählt mir von seinem Atem-Workshop, dessen Krönung oft – aber nicht immer – das Eisbad ist. Dieses stehe sinnbildlich für Herausforderungen, die uns im Leben begegnen: „Wenn du dich mit schwierigen Lebensthemen aus deiner Komfortzone bewegen kannst, kommst du mit dem Wasser auch zurecht.“ Am Ende des Eisbades spüre man am eigenen Körper, wie viel man eigentlich aushalten kann. Das Feedback des Körpers bestätigt den mentalen Kraftakt, den man gerade erfolgreich geleistet hat: „Das kannst du für dein Leben mitnehmen“, sagt Bernhardt. Lieber würde ich mir jetzt einen heißen Tee mitnehmen.


Er führt mich nach draußen auf eine Wiese und um die Ecke hinter einen Schuppen. Und da ist sie, die Tiefkühltruhe. Als ich sie sehe, zucke ich zusammen. Anscheinend habe ich bis zu diesem Zeitpunkt erfolgreich verdrängt, dass es gleich sehr, sehr kalt wird. Der Coach öffnet die Truhe und offenbart das volle Ausmaß meiner größenwahnsinnigen Idee, dem Beispiel des „Eismannes“ zu folgen. In der Truhe schwimmen große Eisblöcke und ein kleines Thermometer, das 3°C anzeigt. Ich ziehe mich bis über beide Ohren in meine dicke Jacke zurück.


Außer mir ist auch noch Achmed da. Er kommt jede Woche zum Eisbaden, den ganzen Winter hindurch. Ohne mit einer Wimper zu zucken, zieht er sich bis auf die Badehose aus und steigt in die Tiefkühltruhe, während ich hektisch versuche, versäumte Atemübungen nachzuholen. Achmed lässt es so einfach aussehen, dass ich mich schnell wieder sammle und erneut Vertrauen in meinen Körper und vor allem in meinen Kopf fasse.

Augen zu, ab ins Eisbad – und atmen nicht vergessen

Ich bin dran. Bernhardt sagt mir sehr ruhig, was zu tun ist: Einmal tief einatmen und dann mit dem Ausatmen in einer langsamen Bewegung bis über die Schultern ins Wasser steigen. Damit die Wanne sauber bleibt, steige ich zuerst in den kleinen Eimer vor dem Eisbad und wasche mir damit das Gras von den Füßen. Ich atme ein und steige in die Tiefkühltruhe. Zwei Minuten. Die Uhr läuft.


An die ersten Millisekunden im Eiswasser kann ich mich nicht mehr erinnern. Sie sind wie ausgelöscht. Danach aber ist es, wie Bernhardt gesagt hatte: Meine Sinne sind geschärft, meine Gedanken kristallklar, während mein Körper brennt und sich ein schwerer Sandsack um meinen Brustkorb schnürt. Wie die tausend kleinen Nadelstiche schießt mir auch das Adrenalin in einer derartigen Wucht durch den Körper, dass ich noch Tage später meine Gedanken aufschreiben kann. Auch die weniger eloquenten. Hier ein Auszug:

– Minute 00:05 – 00:10: Shit shit shit shit shit.

– Minute 00:10 – 00:20: Atmen. ATMEN. Du atmest nicht!

– Minute 00:20 – 00:50: Jetzt aber: einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen.

– Minute 00:50 – 01:20: Deine Zähne klappern. Du hörst gar nicht, was der Coach sagt.

– Minute 01:20 – 01:30: «Lass‘ dich darauf ein. Das ist jetzt furchtbar, aber du kannst das schaffen». Mhm.

– Minute 01:30 – 01:40: Hände an die Oberschenkel! Das wärmt. Und atmen nicht vergessen!

– Minute 01:40 – 02:00: Uh, ein Foto mit einem Eiswürfel!

Ist nach dem Eisbad vor dem Eisbad?

Für Achmed schon. Er setzt sich gleich nach mir wieder in das Eisbad und bleibt dieses Mal sogar rund drei Minuten drin. Für mich ist das erstmal keine Option: Mein ganzer Körper brennt und ist knallrot. Trotzdem kann ich nicht aufhören zu grinsen. Die Glücksgefühle nach dem Eisbad kann ich zu 100 Prozent unterschreiben. Dass man danach angeblich vor Wärme glüht, nicht. Eigentlich hab ich eher das Gefühl, meine restliche Körperwärme tief unten in der Tiefkühltruhe verloren zu haben.


Trotzdem fühle ich mich insgesamt sehr gut. Warum das so ist, ist auch in der Wissenschaft nicht endgültig geklärt. Studien legen nahe: „Regelmäßiges Schwimmtraining im kalten Wasser scheint sich positiv auf verschiedene Systeme wie das Herz-Kreislauf-System, das Hormon- und Immunsystem sowie die Psyche auszuwirken.“ Die Ergebnisse deuten außerdem darauf hin: Winterschwimmer leiden im Vergleich zu Nicht-Winterschwimmern verhältnismäßig selten an Atemwegserkrankungen. Nach einer 150 Meter Schwimmstrecke in sechs Grad Celsius kaltem Wasser sei ein Anstieg der Leukozyten, der weißen Blutkörperchen, gemessen worden. Und deren Hauptaufgabe ist die Abwehr von Krankheitserregern. Ein paar Minuten im kalten Wasser rufen demnach eine starke Immun-Reaktion im Körper hervor, ähnlich eines Krankheitserregers.


Die Studie weist aber auch auf die Risiken hin: Weil die Kälte eine absolute Ausnahmesituation für das Herz-Kreislauf-System darstellt, kann es in Einzelfällen auch zu Herzrhythmusstörungen oder zum Herzstillstand kommen. Auch mir hat sich ein schwerer Sandsack auf die Brust gelegt und mir für einen Moment die Luft abgeschnürt. Selbst wenn sich viele Studien um das Eisbaden sammeln, die Fitness und psychische Gesundheit versprechen, werden immer wieder kritische Stimmen laut. Sogar über die Frage, ob die Atemübungen per se einen direkten, positiven Effekt auf die Gesundheit haben, ist sich die Wissenschaft uneins. Das Team von Medizin Transparent zum Beispiel hat alle Studien zu Wim Hof & Co gesichtet und beschriebt sie als mangelhaft. Ihr Fazit: „Für keines dieser Versprechen gibt es Belege.“


Ob beweisbare biochemische Prozesse im Gehirn oder Feenstaub von Wim Hof höchstpersönlich: Mir geht es nach meinem Eisbad ziemlich gut. Vielleicht liegt es auch an den motivierenden Worten von Marcus Bernhardt. Oder daran, dass ich überrascht von mir selbst war, dieses Eisbad überstanden zu haben. Oder daran, dass ich einfach nur froh bin, es hinter mir zu haben … Was mir das kalte Wasser gegeben hat: Zumindest für zwei Minuten konnte ich mich stark wie eine Extremsportlerin fühlen. Ob es mir das wert ist, regelmäßig in die Tiefkühltruhe zu steigen, weiß ich noch nicht.