Triggerpunkte: Häufig übersehen
03. April. 2023
Bandscheibenvorfall, eingeklemmter Nerv oder Muskelfaserriss? Vielleicht Triggerpunkte? Diese sind die am häufigsten übersehene Schmerzursache in der Physiotherapie. Marion Thurn, Physiotherapeutin und Vorsitzende des Vereins Triggerpunkt Österreich erklärt, weshalb es oft zu Fehldiagnosen kommt.
Chronische Schmerzen: Viele von uns kennen und fürchten die lähmende Wirkung wiederkehrender Schmerzen auf den Körper. Sie machen alle Bewegungen des Alltags zur Qual, haben oft lange Leidenswege zur Folge und sind eine Belastung für die Gesundheit. Wer chronische Bewegungsschmerzen nicht los wird, bei dem liegen womöglich unentdeckte Triggerpunkte vor. Du hast noch nie etwas davon gehört? Das ist kein Wunder, denn Triggerpunkte sind die am häufigsten übersehene Schmerzursache in der Physiotherapie. Das sagt Marion Thurn, Vorsitzende des Vereins Triggerpunkt Österreich und Physiotherapeutin in Wolkersdorf in der Nähe von Wien.
Die Expertin hat sich bereits vor Jahren auf das Fachgebiet der myofaszialen Triggerpunkttherapie spezialisiert. In ihrer Praxis in Wolkersdorf findet die Arbeit mit Triggerpunkten täglich Anwendung: „Es vergeht kein einziger erfolgreicher Tag, ohne eine Triggerpunktbehandlung“, sagt die Expertin im Zoom-Gespräch.
Triggerpunkt: Was ist das?
„Bei Triggerpunkten handelt es sich um Weichteilbeschwerden“, erklärt Marion Thurn. „Im Muskel entstehen mikroskopisch kleine Krampfknoten, die in der kleinsten Einheit des Muskels verkürzen und dort Beschwerden machen.“ Diese kleinste Einheit sind die Sarkomere. Sie befinden sich innerhalb der Muskelfasern, verkürzen dort und bilden Verspannungspunkte, die in der Therapie ertastet werden können. Weil sich alles im Muskel abspielt, lautet die Diagnose „myofaszialer“ Triggerpunkt: Dabei steht „myo“ für Muskel und „faszial“ bezeichnet die Faszien, also das Bindegewebe.
Verspannungspunkte im Muskelgewebe triggern den Schmerz. Und so kommt es zu der großen Schwierigkeit bei der Erkennung von Triggerpunkten: Schmerz und Ursache treten nicht an derselben Stelle auf. „Das klassische Kennzeichen eines Triggerpunktes ist, dass er ausstrahlt und woanders Schmerzen verursacht„, sagt Thurn. Patientinnen und Patienten kämen mit Beschwerden wie Kopfschmerzen in ihre Praxis, während sich der eigentliche Triggerpunkt ganz woanders befindet.
Triggerpunkte: Wo sie sitzen und wie sie entstehen
„Jeder Mensch hat Triggerpunkte. Aber manche machen Beschwerden und andere nicht“, erklärt Marion Thurn. Sie können prinzipiell im ganzen Körper und in jedem Muskel aktiviert und zum Problem werden. Wo und ob das passiert, hängt davon ab, welchen Beanspruchungen der Patient oder die Patientin ausgesetzt ist: „Der Hauptauslöser ist die alltägliche Arbeit“, erklärt die Physiotherapeutin.
„Einseitige Belastungen durch habituelle Bewegungsmuster sind Hauptursachen von Triggerpunkten.“ Dabei sei es egal, ob es sich um einseitige Belastung im Bürojob oder beim Leistungssport handelt. Sobald der Körper monoton oder nicht bewegt wird, laufen Menschen Gefahr, Triggerpunkte zu aktivieren.
Ein Schmerz abseits der Ursache: Wie erkennt man Triggerpunkte am eigenen Körper?
„Gar nicht“, sagt die Expertin. „Das ist der Grund, weshalb ganz viele Patienten lange Zeit falsch behandelt werden.“ In der Schulmedizin werden Symptome oft lokal behandelt, während Ursachen unbehandelt bleiben, erklärt die Expertin. Viele Patientinnen und Patienten haben einen langen Leidensweg hinter sich, bevor sie zu Marion Thurn in die Physiotherapie-Praxis kommen.
„Triggerpunkt-Schmerzen sind ausstrahlende Schmerzen“, erklärt Thurn. Sie äußern sich als diffuser Schmerz, beispielsweise im ganzen Arm oder Bein. Weil Schmerz und Ursache an unterschiedlichen Stellen im Körper auftreten, kommt es häufig zu Fehldiagnosen. Bandscheibenvorfälle, Muskelzerrungen oder ein eingeklemmter Nerv sind gängige Beschwerden, mit denen Menschen Frau Thurns Praxis aufsuchen.
Skepsis aus der Wissenschaft: Welche Theorie steckt hinter der Triggerpunkttherapie?
Triggerpunkte wurden in ihren Anfängen nur durch empirische Beobachtungen entdeckt, sagt die Expertin. Mittlerweile gäbe es viele Studien, die ihre Wirkungsweise auch theoretisch belegen. So etwa eine Vergleichsstudie von Dommerholt et al. (2011), die den damaligen Forschungsstand abbildet. Die Autoren kommen zu folgendem Schluss: „Die aktuelle wissenschaftliche Evidenz befürwortet ausdrücklich, dass insbesondere myofasziale Triggerpunkte in der manualtherapeutischen Praxis […] berücksichtigt werden sollten.“
Doch auch Gegenstimmen wurden im Laufe der Jahre laut. Quintner et al. bezweifeln in ihrer Studie (2015) die wissenschaftliche Tragkraft der von Frau Thurn erwähnten empirischen Beobachtung von Triggerpunkten am Körper: „When shown where a problem may exist, examiners may agree. […] those who claimed expertise in the field were unable to detect putative TrPs [triggerpoints].“ Mit anderen Worten: Belege für die Existenz und Behandlung von Triggerpunkten, die auf der bloßen Ertastung am Körper beruhen, seien für den Diskurs nicht ausreichend wissenschaftlich.
Eine aktuellere Publikation von Gesing et al (2019) fasst den Diskurs rund um Triggerpunkte und ihre Therapie pointiert zusammen. Darin heißt es: „In den exemplarisch ausgewählten Studien zeigt sich, dass die gewählten therapeutischen Maßnahmen erfolgsversprechend sind. Viele Aspekte wurden jedoch noch nicht oder nur unzureichend untersucht.„
Therapie: Wie werden Triggerpunkte behandelt?
In ihrer Praxis in Wolkersdorf vergeht kein Tag ohne Triggerpunktbehandlung. Aber was genau macht die Physiotherapeutin bei Patientinnen und Patienten mit diffusen Schmerzbeschwerden? „In der Triggerpunktbehandlung geht es um eine Muskelbehandlung, bei der aber immer Faszientechniken angewandt werden“, sagt Thurn. Bei der Behandlung werden betroffene Triggerpunkte gesucht und dann in einer Abfolge aus vier bis sechs Techniken ausmassiert. Entscheidend sei dabei die Einhaltung der Reihenfolge dieser Techniken. «Wenn ich den Punkt gefunden habe, muss ich ihn drücken und danach den ganzen Muskelstrang gezielt ausstreichen», erklärt die Physiotherapeutin. Danach werden die oberen und unteren Faszien behandelt und der ganze Muskelstrang gedehnt.
Diese Technik sollte unbedingt von geschultem Personal durchgeführt werden. «Die Massage zuhause als Teil der Nachbehandlung ist ganz wichtig. Aber nur, wenn der Patient vorher von einem Experten geschult wurde», erklärt Thurn.
Bleiben Triggerpunkte unbehandelt, kommt es zu einem Domino-Effekt: „Es kommen mit der Zeit viele Beschwerden dazu. Unbehandelte Triggerpunkte zwischen den Schulterblättern können einen Bandscheibenvorfall, aber auch chronische Migräne auslösen“, erklärt Thurn.
Triggerpunkt-Behandlung zuhause: Gefährlich oder unbedenklich?
Bevor du selbst an deinen Triggerpunkten arbeitest, solltest du auf jeden Fall Beratung von einer Expertin oder einem Experten einholen. Zudem solle man Triggerpunkte auf gar keinen Fall jeden Tag behandeln, erklärt die Physiotherapeutin. Die Schmerztherapie sei anstrengend für den Körper, weshalb mindestens zwei Tage zwischen den Therapie-Einheiten vergehen sollten. Aber kann die Behandlung zuhause gefährlich werden?
„Es kann schon sein, dass sich durch falsches Drücken und Massieren die Beschwerden verschlimmern“, sagt die Triggerpunkt-Expertin. Ungeeignet sei die Behandlung bei neurologischen Erkrankungen, beispielsweise bei erhöhter Muskelspannung nach einem Schlaganfall oder bei frischen Hämatomen und Verletzungen. Weil die Behandlung kleine Blutungen auslösen kann, rät die Expertin von einer Triggerpunkt-Therapie bei Personen ab, die blutverdünnende Medikamenten einnehmen.
„Triggerpunkt-Therapie ist eine schmerzhafte Behandlung“, erklärt Thurn. Wer sie ausprobiert, müsse verstehen, worum es bei der Behandlung geht und Rückmeldung geben können. Für Kinder oder Menschen mit Demenz ist die Arbeit mit Schmerzpunkten daher ungeeignet. Ansonsten sei die Behandlung aber bei jedem Menschen möglich, sagt die Expertin. «Wenn man weiß, dass es sich um einen Triggerpunkt handelt, ist das Problem oft noch an demselben Tag um vieles besser. Weiß man das nicht, entsteht häufig ein sehr komplexes Beschwerdebild.“