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Die Grantler:in – Keine Zeit fürs Zeitungsblatt

Wo sind sie hin, die Zeitungsleser:innen im öffentlichen Raum? Getreu dem Rieplschen Gesetz dürfte ein Medium nicht verschwinden oder durch ein anderes ersetzt werden, aber die Zeitung steht unter Druck und ist abseits von Kaffeehäusern kaum noch zu sehen. Nur: Was macht das mit uns? Eine Spurensuche.

Sicher, in typischen Wiener Kaffeehäusern gibt es sie noch, die Zeitungsständer und jene, die beherzt zu einem der hölzernen Halter greifen und sich ein dort eingespanntes Druckwerk schnappen. Wer sich hingegen im öffentlichen Raum einmal umsieht, wird schnell merken: Das physisch erfahrbare Medium ist in seiner ursprünglichen Form kaum noch vorhanden. Und wenn man doch einmal eine Zeitung erspäht, dann handelt es sich oft um ein Gratisblatt der Boulevardpresse. Und so scheint es, als sei das Rieplsche Gesetz, wonach ein etabliertes Medium von keinem neuen verdrängt oder ersetzt werden kann, so nicht mehr ganz richtig zu sein.

Video killed the Newspaper Star?

Das Bild informationsgieriger Menschen ist heute ein anderes; man glotzt in Bildschirme mit sich schnell bewegenden Bildern, Texten und Videos, statt auf ruhiges Papier mit schwarz gesetzten, unveränderlichen Buchstaben. Hier kann kein:e Redakteur:in der Welt mehr eingreifen, umschreiben oder Aussagen zurückziehen. Die Entschuldigung kann der Verlag erst mit der darauffolgenden Ausgabe liefern. Und ein Austausch mit der Leserschaft ist ohnehin nur über Briefe und Mails möglich – und damit ziemlich zeitversetzt und oft zu spät.

Aber zunächst zurück zum Bild der Leser:innen in der Öffentlichkeit: In Fernreisezügen, ja, da geben sich bewusst oder beruflich Reisende die Mühe, großformatigen Qualitätsjournalismus handlich zu machen. Da werden auch inhaltlich schwierige Doppelseiten verdaut und auf die Magengröße eines Fensterplatzes zu reduzieren versucht – sehr zum Ärgernis der fröhlichen Laptopmenschen, die sich für leiser halten als ihre Papierknitter-Brüder und -Schwestern.

Verlässt man aber diesen Ort und begibt sich hinaus auf einen Platz, eine Parkbank oder an den Baggersee, so hat das Knittern und Rascheln ein jähes Ende. Mag sein, dass ich in Wien, bedingt durch den ewigen Wind, verblendet bin und sich in anderen Städten mit weniger Gebläse noch Menschen finden, die unter freiem Himmel Zeitungen bändigen! In der Stadt, in der die älteste Zeitung der Welt (Wiener Zeitung) im vergangenen Jahr dichtgemacht hat (zumindest in gedruckter Form), sind Zeitungsleser:innen jedoch nahezu aus dem Stadtbild verschwunden.

Nichts als Bildschirme da draußen

Zwei geschlagene Wochen habe ich mich bemüht, für ein Fotoprojekt entsprechende Exemplare in freier Wildbahn zu finden. Gefunden habe ich: einen Obdachlosen, der barfuß auf einer Parkbank sitzend über seiner Zeitung eingeschlafen ist, eine ältere Dame, die ihren STANDARD mit größter Mühe in der zu kleinen Handtasche zu verstauen suchte, und: einen Stapel Zeitungen in einem Mistkübel. Menschen, die Romane lesen, gab es dagegen genug, auch solche, die in E-Books schmökern. Mag sein, dass Letztere darin Zeitung lesen, dann soll Wolfgang Riepl Recht behalten. Und überhaupt will ich nichts totreden. Im Gegenteil! So manches Blatt erfreut sich Jahr für Jahr steigender Auflagezahlen.

Als hoffnungsloser Nostalgiker komme ich aber nicht umhin, der Zeitung im öffentlichen Raum nachzutrauern. Denn sie kann man teilen, mit einem Fremden auf einer Bank. Über sie kann man streiten, ja, sie kann sogar der harmlosen Selbstverteidigung dienen – durch Inhalt oder zusammengerollt zum weichen Knüppel. Glaubwürdiger ist sie deshalb noch lange nicht. Lügen kann bekanntlich auch das gedruckte Wort, dafür in Raum und Auflage begrenzt, mit dem Potenzial, in Vergessenheit zu geraten. Darin unterscheidet sich die Zeitung wohl von jedem digitalen Informationsangebot.