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Zwei

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Die Grantler:in – So allein, dass es jeder hört

Leben heißt, ein Kämpfer zu sein, behauptet meine Mutter – und Seneca. Wer allein ist, kämpft mit stumpfen Waffen. Die Lösung: Freunde! Mit ihnen geht alles leichter. Doch sie zu finden, ist keine leichte Aufgabe.

Gründe, grantig sein, gibt es viele, denn das, was wir Großstadt- und mit Sicherheit auch viele Kleinstadtmenschen erleben, ist nicht immer leicht zu verstehen. Da sind wir umringt von so vielen anderen, die uns nicht mal an den Kragen wollen, sondern harmonisch neben uns leben. Als Nachbarn, als Menschen bei der Paketaufgabe in der Postfiliale, als Sitzgenossen im Zugabteil, manchmal sogar Knie an Knie! Und doch scheinen sie alle unendlich fern. So weit weg, dass wir nur müde lächeln, wenn sie sich zu uns gesellen und den reservierten Fensterplatz einfordern. Oder die wohl verdiente Pole Position in der Warteschlange abends im Kino. Interessanterweise schreit hier übrigens nie jemand „Zweite Kassa bitte“!

Geschwiegen wird viel in der Stadt, mehrheitlich sogar an jenen öffentlichen Orten, vom Aufzug sei da noch gar nicht erst gesprochen. Da hört man Stecknadeln fallen und jede Menge andere teils ungewollte Töne, nur kaum ein Menschenwort! Kein Wunder, dass Menschen also auch in enger Gesellschaft vereinsamen. „Freunde sind super. Aber habe ich genug?“, fragte deshalb unlängst der Autor Tillmann Prüfer im ZEITmagazin. In seinem Artikel führt er Studien an, die allesamt bestätigen: Einsamkeit betrifft uns alle. Manche Menschen können gut damit umgehen, haben kein Problem damit, allein auf eine Ausstellung, ein Konzert oder eben ins Kino zu gehen. Andere sehnen sich hingegen so sehr nach mehr und neuen Freunden, dass sie die wenigen alten Freundschaften, die sie haben, fast vergessen.

Vereinsamung trotz Vernetzung: Ein wachsendes Problem

Und natürlich sind nicht nur alte Menschen von Vereinsamung betroffen. Nein, das wirklich erschreckende ist die Zahl junger Menschen, die trotz maximaler Vernetzung und all der technischen Möglichkeiten, die sich ihnen bieten, nicht wissen, wohin mit sich – oder an wen wenden. Wohin also mit dem „Weltschmerz“? Wohin mit anderen Ängsten, Wünschen, Sorgen und Nöten? Wem schreiben, wenn es keine Adresse gibt, an die man sich wenden kann? Wohin die Worte richten, wenn kein Ohr zuhört? Dann spricht man mit sich selbst und kann nur hoffen, nicht für verrückt gehalten zu werden. „Käse brauche ich noch, und Nudeln wären gut, richtig“. So gehört erst vor wenigen Tagen im Supermarkt. Ein junger Mann allein vorm Regal, ich in nächster Nähe, aber nicht schnell genug, um ihm zu helfen. Beipflichten hätte ich sollen, ihn bestärken in seinem Wunsch nach Pasta. Vielleicht sogar ein Rezept vorschlagen, naheliegender Weise Käsespätzle! Ich tat es nicht und er mir stattdessen nur leid.

Und dann, ein paar Tage später, selbes Spiel, anderes Setting: Dieses Mal eine Frau, vermutlich Mitte fünfzig. Steht also am Bahnsteig, wartet wie ich auf die U-Bahn, und versteht die Welt nicht mehr: „Nein, also sowas“, sagt sie immer wieder. „Diese Menschen, nein also, eklig wird’s mir, grausen tuts mich.“ Und so schimpft sie dann in einem Fort und springt uns Handy-Glotzern damit mitten ins Gewissen: „Wie ihr hier steht und alle so beschäftigt tut! Seht gar nichts mehr, niemanden, interessiert euch für niemanden, pah!“

Gewiss, meine Aufmerksamkeit hatte die Frau, und auch die vieler anderer Wartenden. Nur war unser Interesse an ihr von trauriger, abscheulicher Art. Wachgerüttelt wurden wir jedenfalls nicht, nur leid tat sie uns – wieder einmal. Denn offensichtlich war die Frau geistig verwirrt. Und doch sprach sie so wahre Sätze, dass jeder, der sie hören konnte, zusammenzucken hätte müssen, ob dieser schonungslosen Ehrlichkeit. Ich tat es nicht, denn schon kam die Bahn, die mich in meine einsame Wohnungen zurückbringen wollte. Und dort schaltete ich den Computer an und schrieb schnell einem Freund, den ich lange nicht mehr gesehen hatte. „Hey, na, wie gehts? Long time no see!“ Und dann dachte ich: Wie schön, dass es da draußen noch jemanden gibt, von dem ich weiß, dass er mir antworten wird.